Flucht

Wie unfassbar ist das?

Schon um die 450.000 Flüchtlinge aus der Ukraine soll unser Nachbarland Polen aufgenommen haben, Stand heute. Und damit viel mehr als jedes andere Land momentan. Im Jahr 2015 kamen wieviele aus Syrien? Davon ca. 1,5 Millionen allein nach Deutschland! Ich denke, es ist noch allen gegenwärtig, welche massiven Schwierigkeiten es gab, die Flüchtlingen von damals in Europa zu verteilen. Schon damals war ich der Ansicht, wenn nicht wir in Deutschland und Europa, wer dann?, verkraftet diese Zahl nahezu ohne es zu merken, was im Großen und Ganzen auch so eintrat. Und die Verweigerer dieser humanitären Aktivitäten wurden, ja, ausgerechnet, von Polen angeführt.

Woher jetzt dieser Altruismus? Sollte es etwa christliche Nächstenliebe sein, von der man angenommen hätte, dass sie in einem nahezu durchweg katholischen Polen oberste Maxime sein würde? Wohl kaum.

Es wird noch kritisch zu beobachten sein, was dort an der ukrainisch-polnischen Grenze passiert. Schon jetzt gibt es Berichte, dass Flüchtlinge aus der Ukraine ohne ukrainischen Pass, und insbesondere hinsichtlich der optischen Rezeption (z.B. Hautfarbe) als nicht-ukrainisch identifizierbare Flüchtlinge, nicht durchgelassen werden, nicht in die EU eingelassen werden. Es ist die Rede von zwei “Schlangen”, die eine kurz und ohne Vorankommen, die andere lang, die aber zügig durchgewinkt wird.

Ganz unverhohlen darf man Polen auch weiterhin christliche Grundsätze absprechen, und zwar weniger, weil wahr sein könnte, was man so sagt, sondern weil die Weigerung zur Flüchtlingsaufnahme vor 7 Jahren Bestand hat. Nicht allen Polen, klar, aber jener Mehrheit, die diese offensichtliche Unchristlichkeit, die Bigotterie, den Rassismus und die Unmenschlichkeit von Staats wegen stützt, indem sie die amtierende Regierung wählt oder gewählt hat. Einen Papst gehabt zu haben, und seine Heiligsprechung voran getrieben zu haben, macht halt leider doch niemanden zu einem echten Christen.

Glück gehabt, Ukrainerinnen und Ukrainer!

Wo sind eigentlich jene Flüchtlinge abgeblieben, die bis vor Kurzem noch zwischen Belarus und Polen festhingen und auch nicht durchgelassen wurden? Vielleicht hatten sie ja Glück und es gelang ihnen, doch unbemerkt im aktuell großen Flüchtlingsstrom mitzuschwimmen.

Wie hieß es hierzulande gleich? 2015 darf sich nicht wiederholen! Einen dümmeren Schmarrn habe ich selten gehört. Jahre wiederholen sich nicht, auch nicht Ereignisse – und auch wenn ich selbst immer wieder versucht bin, mich dieser Floskel zu bedienen, am Ende gleichen sich nur Ereignisse. Das, was sich in Sachen Flüchtlingsaufnahme in Zukunft nicht gleichen, nicht wiederholen darf, ist Unmenschlichkeit. Und dazu gehört vielleicht auch ein bisschen, dass man die organisatorischen Strukturen erhält, die nötig sind, um Flüchtlinge aufzunehmen, zu registrieren und zu managen. Nicht nur in Deutschland. Europaweit.

In diesem Zusammenhang sei gemahnt: Im Mittelmeer ersaufen immer noch Leute.

Sprachlos

Der letzte Militäreinsatz, der mir die Sprache geraubt hat, und zu dem ich mich trotzdem geäußert habe, liegt gerade mal ein halbes Jahr zurück: 26.08.2021, Abzug aus Afghanistan, jetzt 24.02.2022, Angriff auf die Ukraine. Oder sollte ich besser sagen: Überfall auf die Ukraine?

Wer in Deutschland kennt ihn nicht, den Satz, womit einst durch Deutschlands Ur-Diktator der Überfall auf Polen am 01.09.1939 begründet wurde? Die Uhrzeit, die dieser Satz enthält, gleicht so fatal derjenigen des ersten Einschlags am 24.02.2022 in der Ukraine, dass es einem wie Sodbrennen aufstoßen muss: Da versucht einer die Geschichte zu wiederholen! Da hat sich einer ein Vorbild angeeignet, von dem ich glaubte, es sei allgemeiner Konsens, dass dies ausschließlich als Antivorbild taugt. Da operiert einer am Rande des völligen Wahnsinns, der ultimativen Großmannssucht, unkalkulierbar: der perfekte 007-Antagonist, durchgeknallt, empathielos, perfide, zerstörungswütig.

Geschichte wiederholt sich doch – so ähnlich

Am 26.08.2021 dachte ich, die Geschichte hat sich wiederholt: Hubschrauber, die Verzweifelte von Dächern retten, denen martialische Krieger auf den Fersen sind, hatten wir visuell in ähnlicher Choreographie Ende April 1975 gesehen, es folgten finstere Zeiten in Vietnam, und noch finstere in Kambodia, ein Land, das nominell am Vietnamkrieg, der in Vietnam übrigens “Amerikanischer Krieg” genannt wird, nicht beteiligt war. Die finsteren Zeiten, vor allem für die Frauen, dauern in Afghanistan weiter an, ja verfinstern sich weiter.

Am 24.02.2022 dachte ich, die Geschichte hat sich wiederholt: Überfall auf die Ukraine zwar, aber Uhrzeit und Konstellation suggerieren eine absichtsvolle Symbolik, auf dass auch alle Welt sicher weiß, von welchem Anspruch die Operation getrieben ist. Genauso absurd begründet, hanebüchen, durchgeknallt.

Vor der Haustür

Und diesmal ist es so nah: Ein sich selbst überschätzender Diktator, der in seinem näheren Umfeld niemanden mehr hat, der ihm Einhalt gebietet und die Sinnlosigkeit seines Tuns zu artikulieren wagt, der sich seine eigene Wirklichkeit, ja Blase, strickt und seine nächsten Schritte daran ausrichtet, mag diese Wirklichkeit auch noch so weit von der Realität entfernt sein. Ein solcher Diktator verfügt über Atomwaffen und droht unverhohlen damit, bedroht diesen Kontinent Europa. In besonderem Maße verlässt er sich dabei auf das – im Nachhinein betrachtet besonders naive – Deutschland: Die Europäer werden sich schon nicht zum Gegenschlag aufschwingen, das wird mit Deutschland nicht zu machen sein, und wenn doch, so sind sie doch militärisch betrachtet ein Leichtgewicht. Leider scheint er auch recht zu haben.

Nach dem fünften Angriffstag scheint es zumindest so, dass die Ukrainer und Ukrainerinnen sich gegen den geplanten Blitzkrieg stellen, und das sogar mit einem gewissen Erfolg. Gewinnen können werden sie wohl nur mit einem langen Atem und viel einfallsreicher Guerillataktik. Je länger sie durchhalten, aufhalten, anhalten, erhalten, desto größer wird die Chance, den verteidigten Boden behalten zu können, auch wenn alles, was darauf steht, ein durchgeknallter Aggressor – wiedereinmal, und diesmal ist es sogar ein “Bruder” – in Schutt und Asche legt.

Reform!

Der Souverän sind Fünf Hundert Millionen Europäer. Und als Souverän darf er ein Parlament wählen.

Was der Souverän anscheinend nicht darf:

  • Er darf nicht vor der Wahl genau wissen, wer sein Präsident werden soll, damit er das in der Wahl berücksichtigen kann. Noch viel besser: er muss hinnehmen, dass die, die vor der Wahl als Spitzenkandidaten gehandelt werden, komplett ersetzt werden.
  • Er darf nicht daran zweifeln, dass seine Stimme etwas bewirkt, obwohl die Stimme eines Wählers aus Malta mehr Gewicht hat als die eines Wählers aus Frankreich. Denn es gibt keine europaweiten Parteien und Listen, sondern die Franzosen dürfen nur Listen aus Frankreich wählen, und die Malteser nur Listen aus Malta. Und weil die Malteser so ein kleines Staatsvölkchen sind, muss man die höher gewichten, sonst hätten die nie eine Chance ins Parlament zu kommen.
  • Er darf nicht an den demokratischen Strukturen der Europäischen Union zweifeln, obwohl die eigentliche Regierung aus Kommissaren besteht, die nicht ins Parlament gewählt sind, sondern von den Nationalregierungen ernannt werden, also quasi Beamte sind.
  • Und die demokratischen Strukturen sind auch nicht anzuzweifeln, wenn Herr Macron mit den anderen Nationalstaatschefs am Parlament – und damit an den Wählern – vorbei den Präsidenten der EU auskungelt. Denn die Nationalstaatschefs sind ja demokratisch gewählt, obwohl – halt! – eben nicht von den Europäern, sondern halt nur von den Wählern des jeweiligen Nationalstaats – und da auch nicht von jedem.

Fällt denn den Nationalstaatsregierungen nicht auf, dass das keine demokratischen Prozesse sind, und die europäischen Wähler gerade mit dem jüngsten Husarenstück der Ernennung von der Leyens hinters Licht geführt werden?

Und dass gerade dadurch der pro-europäische Wähler ohnmächtig den Sinn der Europawahl in Frage stellt, sich entmündigt fühlt und Europa irgendwann als unreformierbares, sich selbst erhaltendes Gefüge abschreibt, das nur dazu dient, den Machthunger von Nationalstaatsregierungen und ihrer Protagonisten zu bedienen?

Und dass das am Ende den extremen und radikalen Rechten zuspielt, wenn die pro-Europäer nicht mehr zu Wahl gehen?

Die Ernennung von der Leyens ist der Gipfel der Zumutung an den europäischen Wähler und der Beginn des zu Grabe Tragens einer einst wunderschönen Utopie.

Reform!

  • Europäische Parteien ins Parlament! Jeder Wähler, egal wo, dieselben europäischen Parteien wählen können.
  • Ein Wähler – eine Stimme! Exakt gleiche Gewichtung jeder Stimme – das geht nur mit Europäischen Parteien.
  • Spitzenkandidatenprinzip etablieren! Keine nachträgliche Kungelei der Nationalstaatschefs, denn das ignoriert den Wählerwillen und erklärt die Wähler für unmündig. Das ist undemokratisch und erinnert an das Verhalten von Monarchen. Die europäischen Parteien stellen den Spitzenkandidaten auf und halten sich daran, außer im Falle von Force Majeure.
  • Bildung der Regierung durch die stärkste gewählte Partei! Keine Ernennung von Kommissaren als Regierung durch die Nationalstaaten.
  • Eine echte, verständliche, auf das Wesentliche reduzierte Verfassung! Kein 900-Seiten Vertragswerk (wie vor mehr als 20 Jahren als Verfassung zu propagieren versucht), das kaum ein Wähler je lesen, geschweige denn verstehen kann. Eine Verfassung enthält Gesetze, die kurz und knapp die Grundwerte der Gemeinschaft darstellen und für jeden Europäer les- und von jedem verstehbar ist.
  • Aktivitäten der Europäischen Union auf das Wesentliche reduzieren! Gemeinsame Verteidigung, gemeinsame Außenpolitik, gemeinsamer Wirtschaftsraum, Infrastrukturmaßnahmen, innergemeinschaftliche Entwicklungsprojekte, gemeinsame Klimapolitik. Für ein starkes Europa, das seine Werte auch durchsetzen kann!
  • Ein Parlament und ein Standort! Teures Pendeln zwischen Brüssel und Straßburg alle paar Wochen/jeden Monat – dieses Steuergeld ist doch im Klimaschutz besser angelegt!

Lasst uns endlich zu gleichberechtigten, mündigen Europäern werden – ungeachtet aller Machterhaltungsinteressen der Nationalstaaten und ihrer Staatsspitzen!

Lasst uns endliche unsere nationalstaatlichen Grenzen überwinden!

Europa, mein Herz

Europa, mein Herz
Es tat so weh
zu zu sehn
es war kein Scherz

Liebe Kinder,

stellt Euch mal vor, es ist Bundestagswahl und Frau Merkel steht auf der Unionsliste der Zweitstimme auf Platz 1. Die Zweitstimme, das ist die Stimme, die über die Gewichtung der Parteien im Parlament entscheidet. Die Partei, die also die meisten Zweitstimmen bekommt, wird den Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin stellen. Am Wahltagesende liegt die CDU vorn. Wer wird jetzt also Kanzler, respektive Kanzlerin?

Herbert Kunze aus Tuttlingen. Ja, gell, da wundert Ihr Euch. Der Herbert, der ist nämlich überhaupt nicht ins Parlament gewählt worden. Der stand auch nicht auf der Zweitstimmenliste. Der Herbert wird nur deshalb Kanzler, weil den Ministerpräsidenten der Bundesländer die Frau Merkel ordentlich auf den Zeiger gegangen ist und daher nicht mehr gefallen hat. Da musste mal was Neues her.

Und so haben sich die Ministerpräsidenten zusammen gesetzt, ein paar Nächte lang verhandelt, und dann haben sie bestimmt, der Herbert soll es werden. Denn der Herbert hat ja schon Erfahrung als Kultusminister in Baden-Württemberg.

Dann hat der Herbert im Parlament für sich Werbung machen müssen, und ist mit 10 Stimmen mehr als nötig – nötig war die Hälfte der Stimmen im Parlament – gewählt worden.

Absurd? Ist das ABSURD?
Fragt Ihr Euch auch, wie das sein kann?

Ja, eigentlich ist das absurd. Aber ungefähr das ist jetzt in Europa passiert.