Stunde 0

Tag 0 – Stunde 0. Kontaktsperre.

Draußen wütet das Virus. Karlsruhes Hochhäuser leuchten hell, während ich in der Dunkelheit von der A8 steil hinab rolle – alle Fenster, alle Stockwerke, alle sind zuhause. Es ist 20:00 Uhr.

Ich hole die Post, die letzten Unterlagen und das Laptop aus dem Büro. Gerüstet für HomeOffice. Es soll mindestens 4 Wochen dauern, eher länger, man wird sehen.

Auf der Rückfahrt komme ich an der Landeserstaufnahme-Einrichtung vorbei, LEA. Ein Polizeitaufgebot von mindestens 5 Fahrzeugen davor. Was passiert hier? Werden die Leute evakuiert? Und wenn ja, wohin? Sind dort überhaupt noch Leute, und wenn ja, wie viele? In letzter Zeit habe ich nicht mehr so viele Flüchtlinge beobachtet wie damals 2015/2016, als die große Welle kam.

Es sind weniger Fahrzeuge unterwegs als sonst um diese Zeit. Ich entscheide mich, über Land und nicht über die Autobahn zurück zu fahren.

Kontaktsperre. Ist das nicht übertrieben? Dir wirtschaftlichen Folgen werden die Landes- und Bundesregierungen sicher innerhalb der nächsten Wochen unter Druck setzen. Lange lässt sich das nicht durchhalten. Auch der Gedanke hat etwas für sich, die Bevölkerung „durchinfizieren“ zu lassen. Es heißt, bei mehr als 75% Infizierten sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Rest noch infiziert. Aber Opfer würde es geben – und nicht nur unter der Risikogruppe der älteren oder vorerkrankten Menschen, sondern – wie sich gezeigt hat – auch unter den jüngeren.

Ich mache Kilometer, Felder huschen im Dunkeln an mir vorbei. Ich rolle mit verminderter Geschwindigkeit durch die Dörfer. Die Läden bereits alle geschlossen, aber das ist normal für Sonntage und die Uhrzeit. Hier zeigt die Kontaktsperre, die mit Restaurantschließungen einhergeht, noch kein allzu unübliches Bild. Nur der grell erleuchtete Döner-Laden, in dem der Mann hinter dem Tresen einsam ein Glas trocknet, fällt aus dem Rahmen – weit und breit das leuchtendste Beispiel der Kontaktsperre. Ob der Laden unter normalen Bedingungen in diesem Dorf am Sonntagabend um halb zehn mehr Kunden hätte?

Oder ob der Laden einem anderen Zweck dient? Vielleicht Geldwäsche? Wer betreibt denn in diesem Winzdorf einen Döner-Laden? In einem Dorf aus Jahrhunderte alten Fachwerkhäusern und vermutlich genauso alteingesessenen Familien? Gibt es da Absatz für Döner?

Kontaktsperre, denke ich, als ich in den Wald jenseits des Ortsschildes am Dorfrand eintauche. Davon haben die beiden Wildschweine noch nie etwas gehört, als sie von links über die Fahrbahn in meine Fahrertür donnern.

[Fortsetzung folgt…]