Begründungen

Warum fragen Kinder. Zweimal warum. Dreimal warum. Eine Ausdauer haben sie. Oder einfach Spaß dran. Immer wieder warum, ein schier nicht endender Warumwurm. Warum sie Eltern damit zur Weißglut treiben, wissen sie noch nicht. Aber so einfach und locker ihnen das Warum von den Lippen geht, so komplex kann die Antwort sein, soll sie doch kindgerecht sein, und Komplexes in einer Einfachheit darstellen, die Erwachsene nicht selten überfordert.

Wenn ihnen die Erklärung nicht genügt, oder sie sie nicht verstehen, basteln sie sich ihr eigenes Bild. Und vergessen es auch erst einmal wieder, bis eine bessere Antwort auf ein Warum daher kommt, die sich viel einfacher merken lässt, oder den Wissensdurst beflügelt.

Jeder darf sich sein eigenes Weltbild schaffen. Wir gestehen es den Kindern zu. Gestehen wir es auch Erwachsenen zu? Wir erwarten, dass irgendwann das Alter erreicht ist, da die Warums ausgedient haben. Aber ist das gut? Und kommt dieser Moment überhaupt jemals?

Wenn ein Kind aufhört – für den Moment – und den Warumwurm unterbricht, dann ist es entweder abgelenkt, das Thema ist nicht mehr interessant, oder es hat den Faden beim Begreifen der Belegkette verloren, die sich im Antwortschnürlein findet. Kurzum, für den Moment genügt dem Kind ein halbwegs solides Halbwissen.

Geht es nicht einem Erwachsenen gerade genauso, wenn er aus der Warumphase heraustritt? Begnügt er sich dann nicht mit einem halbwahren Bild? Das kann sinnvoll sein, wenn es ans Begreifen von Wahrheiten geht, die schwer zu erfassen sind. Die Quantentheorie. Das Zwillingsparadoxon. Oder weitere Ereignistheorien in Mikro- und Makrokosmen.

Zugegeben, nicht jeder auf dieser Welt studiert Physik. Oder irgendeine andere Naturwissenschaft, die mikro- oder makrokosmischen Wahrheiten auf der Spur ist und immer näher kommt. Ja sogar die wenigsten studieren in dieser Tiefe, die meisten hören auf, bevor sie den heute bekannten Rändern der mikro- und makrokosmischen Wahrheiten je nahe kommen. So auch ich.

Aber ist es nicht in jeder Welt, also auch in allen Welten zwischen Mikro- und Makrokosmen, beunruhigend, wenn ein Mensch das Fragen nach dem Warum einstellt? Überhaupt das Fragen einstellt? Zum Fragen gehört das Hinterfragen. Das Infragestellen. Des eigenen Weltbilds. Das Nachfragen – und möglicherweise das Verstehen von anderen Weltbildern. Das Warum bildet eine Besonderheit, es verlangt nach einem Grund, einem Beleg.

Kann ich mein Weltbild begründen? Habe ich Belege dafür? Warum habe ich mir dieses Weltbild angeeignet? Und nicht ein anderes? Warum ist nicht ein anderes passender?

Warum halte ich Toleranz für das höchste Gut, das ein Mensch besitzen kann? Weil ich nach der Devise lebe “Was Du nicht willst, das man Dir tu’, das füg auch keinem Andern zu!” Warum lebe ich nach dieser Devise? Weil alles Andere Schmerzen bereitet. Warum fällt es so vielen Menschen schwer, Toleranz zu leben?  Weil sie aufgehört haben, sich und ihr Weltbild zu hinterfragen, nach Belegen zu fragen, nach dem Warum zu fragen.

Warum haben sie aufgehört? Etwa weil sie erwachsen sind? Wohl kaum. Viel eher ist es ihnen peinlich zuzugeben, dass ihnen das Warum zu komplex ist, dass sie selbst keine Antworten finden. Es ist ja so viel einfacher, sich in die einfachen Antworten von Gurus, Populisten, ja von Religionen zu flüchten. Es ist ja so viel einfacher, sich von anderen Antworten vorgeben zu lassen, und gleichzeitig Toleranz einzufordern von denen, die diesen Antworten keinen Glauben schenken.

Begründen ist schwer. Sich selbst in Frage zu stellen noch viel mehr. Sei uns der Mensch ein Vorbild, der keine Wahrheiten verhökert, sondern sie in Frage stellt mit logischen Argumentationsketten und Begründungen. Gefühle, zumal diffuse, sind hier kein guter Ratgeber. Vielmehr sind es Aktio und Reaktio. Woher kommen diese diffusen, irrationalen Ängste, die heute überall herrschen? Verschwörungstheorien aller Orten, elementare physikalische Prinzipien in Frage stellend. Fremdenängste wo keine Fremden sind.

Warum tun Menschen Menschen Schlimmes an? Warum sind manche von uns grausamer als jedes Raubtier? Es macht mich traurig zuzuschauen. Dass Verstand so brach gelegt wird.